Man sieht nur, was man kennt
Über Historische Wanderungen


histw02k


Kann ein so ziemlich überschaubares und weitgehend erschlossenes Bergland wie das der "Sieben Berge" noch Geheimnisse bergen? Das populäre Naherholungsgebiet, reich an Ruinen, Sagen, Denkmälern und historischen Orten, hat viele davon sicher längst preisgegeben – bzw. wurden sie enthüllt von einer Vielzahl von Spurensuchern, die die Region bis in die letzten Winkel durchstreifen. Umso mehr überrascht es aber immer wieder, wie viele attraktive Plätze Geschichte(n) zu bieten haben, die sich dem unkundigen Besucher kaum erschließen.
  "Man sieht nur, was man kennt" – diesem Motto folgen die "Historischen Wanderungen" des Siebengebirgsmuseums. Ausgehend von Museumsinhalten und einzelnen Ausstellungsbereichen führen verschiedene Routen über bekannte und unbekannte Wege und dabei zu Plätzen, die nicht nur landschaftlich attraktiv sind, sondern auch Zeugnisse von tatsächlichen oder volkstümlich überlieferten Geschehnissen vorzuweisen haben. Ihnen gemeinsam ist, dass sie dem jeweiligen Landschaftspunkt neben seinem äußeren Erscheinungsbild mindestens eine weitere Bedeutung geben, die ihn – zumindest für die Teilnehmer der geführten Wanderung – in neuem Licht erscheinen lässt.

 
"Der Mönch von Heisterbach", Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, um 1925

Zum Beispiel Heisterbach: Hier kann ein idyllischer Winkel des Klostergeländes zum Kristallisationspunkt werden. Bietet schon das ganze Tal eine einmalige Komplexität kulturlandschaftlichen Wandels – von 600jähriger zisterziensischer Klosterwirtschaft und Spiritualität bis zum hohen Ort der Ruinen- und Rheinromantik – so scheint im Schatten der Klostermauer ein Hauch der Ewigkeit spürbar zu werden. Neben einer verwunschenen Teichanlage überrascht ein kleines Tor mit der Aufschrift: "Für den Herrn sind tausend Jahre wie ein Tag". Hier verdichtet sich die Tradition des Ortes in der tiefgründigen Sage des "Mönchs von Heisterbach", einer zwar auch anderen Orts ähnlich überlieferten Legende, die aber in Heisterbach eine wirkungsvolle literarische Konkretisierung fand. Sie handelt von Raum und Zeit, von einem Mönch, der sich im Zweifel verliert und wiedererwacht nach Jahrhunderten nur noch die Wahrheit dieses Satzes begreifen darf.


Altar NachtigallentalAltar der Jahrtausendfeier im Nachtigallental Aufnahme 2006

Oder im populären Nachtigallental, 1861 ausgebaut als „schattige Promenade“ und in späterer Zeit geadelt mit einem Denkmal für den volkstümlichsten der Kölner Lieddichter, Willi Ostermann. Hier ist es ein Altar, der an einer tief eingeschnittenen, imposanten Weggabelung zwar wohl platziert, aber nutzlos wirkt. Er erzählt von einem einzigen Waldgottesdienst am 28. Juni 1925, der als geistliche Massenveranstaltung einem hochpolitischen, patriotischen und antifranzösischen Fest seine höhere Weihe gab. Gefeiert wurde die angebliche 1000jährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen Reich.



  Der HimmerichDer Himmerich im Fahnenschmuck Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, Oktober 1933

Und schließlich auf dem Himmerich, diesem von fern unscheinbaren Kegel mit atemberaubender Rheinsicht von einem Plateau, das als Relikt eines Steinbruchs blieb. Hier versuchten Honnefer Nationalsozialisten im Oktober 1933, die Erinnerung an angebliche „Separatisten-Abwehr“ des Jahres 1923 mit der Grundsteinlegung für ein gigantisches Denkmal für sich zu reklamieren. Chaotische Geschehnisse wie Plünderungen und Schießereien, der tragische Tod zweier einheimischer Männer und Fälle grausamer Lynchjustiz waren bereits in den Jahren zuvor zur heldenhaften „Schlacht“ umgedeutet worden, für Zeitgenossen nunmehr aber gravierender: Geschehen waren sie im Nachbarort Aegidienberg. So kam der Festredner Joseph Goebbels, hörte vom nachbarlichen Streit und fragte einen stattlichen Veteranen: „Sagen Sie mal, Herr Dahm, wo war sie denn nun, die Schlacht im Siebengebirge?“ „Auf jeden Fall net hee, Herr Minister!“ – worauf dieser wutentbrannt seine vorbereitete Rede nicht hielt und stattdessen die erste regierungsamtliche Stellungnahme zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund abgab. Um dann ohne Festakt spornstreichs zu verschwinden und seine Honnefer Nazikumpanen mit einem nutzlosen Grundstein allein zu lassen. Das Denkmal wurde nie gebaut, stattdessen der Grundstein geklaut. Bis heute aber zeugen davon die Pfostenlöcher des aufwändigen Fahnenschmucks.

  Ist es nun ein Fehler, diese und viele andere Schauplätze und landschaftlichen Details mit der Publikmachung in "Historischen Wanderungen" aus dem Nebel der Vergangenheit hervorzuziehen? Verlieren sie am Ende gar ihren Charme in diesem neuen Rampenlicht? Ich denke nein, denn vielmehr liefern sie die Anschaulichkeit, die geschichtliche Ereignisse nachvollziehbar und zu dem werden lassen, was sie vor allem anderen immer sind und bleiben: Menschenwerk. Das Episodische kaschiert perfekt die oft dahinter stehende akribische wissenschaftliche Forschung und lässt komplexe Strukturen verständlich werden. In diesem Sinne lässt sich das eingangs zitierte Motto auch umkehren: "Man kennt nur, was man sieht". Tiefere Erkenntnis vermittelt sich über viele Sinne, und dabei kann die räumliche Konkretisierung und visuelle Anschauung eine hervorragende Rolle spielen. Das Siebengebirge ist reich an Beispielen für diese These.


   
Überarbeitete Fassung eines Beitrags von Elmar Scheuren, in: Bonn, wo es am schönsten ist - 77 Lieblingsplätze,von Marion Uhrig-Lammersen und Sten Martenson (Hrg.);
Berlin, Siebenhaar-Verlag 2008  (ISBN: 978-3-936962-48-2)
 
    
    Die Historischen Wanderungen des Siebengebirgsmuseums:
Preise und aktuelle Termine